Mittwoch, 13. Juni 2012

Was für eine Art von Gemeinde braucht Frau Hu?

Frau Hu: rechts. Daneben: Elisabeth Weinmann.
Frau Hu ist Verkäuferin in einem großen Einkaufs-zentrum. Ihre Kinder sind tags-über in der Kita. Abends werden sie von den Grosseltern abgeholt und betreut.

Während der langen Arbeitsstunden im Kaufhaus wird von mehreren Seiten Druck auf sie ausgeübt. Frustrierte Kunden lassen ihren Frust an ihr aus. Ihr Abteilungsleiter drängt sie, die Produkte ihrer Marke zu verkaufen. Werden die Ertragsforderungen nicht erfüllt, droht schnelle Kündigung. Das macht ihr gerade im Moment grosse Sorgen, denn diesen Monat läuft der Laden sehr schlecht. Sie hat am 10. Juni erst 60.000 NT (1.500 Euro) ihres Monatsziels von 300.000 NT (7.500 Euro) erreicht.

Frau Hu ist froh, dass sie ihren freien Tag am Sonntag nehmen kann, denn die Geschäfte haben sieben Tage in der Woche geöffnet. Jeden Monat bekommt sie vier freie Tage. Braucht sie einen Extratag frei, muss sie den Lohn für ihre  Vertretung selber bezahlen.

Elisabeths Team aus taiwanesischen Mitarbeitern und einem anderen Missionarsehepaar hat die Zentren der Innenstadt unter sich aufgeteilt, in denen sie regelmässig von Stand zu Stand gehen, evangelistische Zeitschriften verteilen und die Frauen zu Nachtveranstaltungen einladen. Mittlerweile gibt es ein Netzwerk von neun Kleingruppen in verschiedenen Einkaufszentren. Wenn Frauen ihren Arbeitsplatz wechseln, werden sie an einem anderen Ort aufgefangen.

Warum baut Elisabeth Gemeinden und Hauskreise unter diesen Verkäuferinnen auf? Weil das Programm der traditionellen Gemeinden an den Bedürfnissen dieser grossen Bevölkerungsschicht vorbeigeht: 
  • Gemeinden treffen sich Sonntag Vormittags, wenn der Arbeitstag dieser Frauen beginnt. 
  • Im Mittelpunkt der Predigt steht oft Lehre und Theorie; die Frauen brauchen eine einfache, praktische, interaktive Botschaft und Menschen, die sie ernstnehmen. 
  • Gottesdienste gehen oft feierliche zwei Stunden lang. Dabei fallen erschöpften Frauen die Augen zu…
Gebetsgemeinschaft im Café
Wie so ein Gottesdienst aussieht, sehe ich noch in der selben Nacht. Um 20 Uhr treffen sich die Mitarbeiter in einem Café, um bei einem Getränk miteinander für diese Frauen und den bevorstehenden Gottesdienst zu beten. In insgesamt sieben Gebetsrunden bringen wir die verschiedenen Einkaufszentren der Stadt und weitere Anliegen vor Gott. Das Gebet ist ernsthaft und ausdauernd, Zeit spielt keine Rolle.

Als wir um halb zehn fertig sind, gehen wir in einen Gottesdienstraum im vierten Stockwerk (den einzigen kirchlichen Raum weit und breit, weil die Mieten horrend teuer sind), welcher der Gruppe auf wunderbare Art zur Verfügung gestellt wurde. Stuhl um Stuhl wird von müden Verkäuferinnen besetzt, deren Läden gerade erst geschlossen haben. 

Leider bleibt die Zahl der Besucher an diesem Abend klein (wir sind alle zusammen nur 17 Personen). Es wird viel gesungen, sehr viel gebetet (beides im Stehen - in Asien wird Gott nicht im sitzen angebetet wie bei uns in Deutschland..). Da nicht nur die Frauen, sondern auch ich sehr müde bin, bekomme ich von der kurzen Predigt nur wenig mit. (Es könnte natürlich auch daran gelegen haben, dass ich kein Chinesisch kann…)

Spät in der Nacht kommen wir wieder nach Hause und ich beginne zu verstehen, warum Elisabeth bewusst ist, wie herausfordernd diese Arbeit für Missionare ist:
  • Die Arbeitszeiten sind extrem unkonventionell (sprich: unregelmässig). 
  • Die Menschen sind spontan (es kann gut vorkommen, dass man mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt wird oder zu irgendwelchen Notfällen gerufen wird). 
  • Die Gemeinschaft untereinander ist eng, denn man braucht sich als Team. Das hält nicht jeder aus.
Es werden dringend weitere Mitarbeiter gebraucht, auch aus Deutschland und der Schweiz. "Am geeignetsten wären Mütter, denn die haben all diese Herausforderungen in ihrem Leben bereits gemeistert", lacht sie.

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