Freitag, 8. Juni 2012

Götzenschnitzer

Kerstin und ich schwingen uns aufs Motorrad. Sie möchte mir ihre Bekannten und Freunde vorstellen und wir machend en ersten Stopp beim Götzenbild-Schnitzer in der Orchideenstraße. Als er 14 Jahre alt war, musste er die Schule verlassen und sein eigenes Geld verdienen. Er machte eine Ausbildung als Götzenschnitzer und ist nun ein Meister seiner Zunft. Aus dem ganzen Land kommen Aufträge für Holzstatuen: wunder-schöne, extrem detail-reiche, filigrane Figuren.

Er macht nur Auftragsarbeiten und nimmt für jedes Stück, je nach Grösse, etwas  60.000 Taiwanesische Dollar (ca. 1500 Euro). Die Arbeit an jedem Götzen dauert mehrere Woche, er hat immer mehrere gleichzeitig in Arbeit.

Jeder Götze hat ein anderes Gesicht, je nachdem, welcher es ist. Manche schauen sehr freundlich drein, einer hat das Gesicht eines Kindes, wieder ein anderer schaut extrem grimmig drein und ist auch ganz schwarz lackiert.

Ist ein Götze fast fertiggestellt, werden in ein Loch im Rücken verschiedene Gegenstände gesteckt: fünf Edelsteine der Insel, fünf Samen der Insel sowie Weihrauchasche aus einem Tempel. Dann wird das Loch verschlossen.

Die Statue ist aber erst dann richtig fertig, wenn die Augen eingemalt werden (und er praktisch "erleuchtet" wird) und ein Geistlicher in einer Zeremonie bestimmte Beschwörungworte über der Figur ausgesprochen hat. Dann zieht der Gott leibhaftig in die Figur ein. Ab dann ist sie nicht mehr nur ein edler Kunstgegenstand aus Holz, sondern ein mächtiges Objekt der Geister.

Das ganze Leben dieses freundlichen Mittfünfzigers spielt sich in seinen engen vier Wänden mit offenem Blick auf die Strasse ab. Er hat nie frei. Er fährt nur weg, wenn er bei Geisterzeremonien die Gesichter der Tänzer schminken muss - eine weitere Kunst, die er beherrscht. Er hat keine Frau. Warum? Er hat keine Zeit, auszugehen und eine Frau kennenzulernen. Aber es scheint ihm auch nichts auszumachen.

Es macht Spass, mit ihm zu reden. Er zeigt uns einen Zeitungsausschnitt, in dem über ein besonderes Fest über eine Gottheit in der südlichen Hafenstadt Tainan berichtet wird. (Trannews-Artikel oder Taipeitimes, allerdings sind das vermutlich zwei verschiedene Feste.)

Was geschieht dort? Es wird ein wunder-schönes, lackier-tes, fahr-tüchtiges und komplett ausge-stattes Holzboot  gefertigt. Geschnitzte Figuren repräsentieren Matrosen und Soldaten. Im Inneren befindet sich ein gefüllter Kühlschrank, ein Computer, Fernseher und alles, was man im Jenseits gebrauchen könnte, natürlich auch filigrane Götzenstatuen.  Bevor das ganze Boot wird am Ende einer mehrtätigen Zeremonie in Brand gesetzt wird, werden Hühner, Schafe und Ferkel hineingetrieben. So ist das gesamte Boot ein grosses Opfer für den betreffenden Gott.

In der Taipeh Times ist das Boot beschrieben, das bei einer (von vermutlich mehreren Zeremonien im ganzen Land) dieses Jahr gebaut wurde: Es ist über 21 Meter lang, über 4 Meter breit, 1,7 Meter hoch (ohne Mast). Es ist das grösste Schiff, das jemals in Südtaiwan für diese Zeremonie gebaut wurde und kostete umgerechnet über 250.000 Euro.

Ich frage den Götzenschnitzer, ob es ihm nicht leid täte, wenn seine wochenlange Arbeit einfach so verbrannt würde? Er verneint lächelnd. Nein, denn die Statue sei ja jetzt in der unsichtbaren Welt, wo sie gebraucht wird. - Die jenseitige Dämonenwelt ist so gegenwärtig, dass es für Menschen wie ihn fast keine Barriere zwischen hier und dort zu geben scheint...

Nachdem wir noch gute Wünsche ausgetauscht haben, machen wir uns auf den Weg, um weitere Personen zu treffen. Das Gespräch wird mir aber in langer Erinnerung bleiben. Der freundliche Mann hat einen Platz in meinem Herzen gewonnen und ich wünsche ihm nur, das er den Gott kennenlernt, der nicht in Holzblöcken wohnt, sondern mit seinem Frieden in unser Herz ziehen will. 

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